Die drei Tugenden

Skizze von Teo von Torn.
in: „General-Anzeiger Altona” vom 04.12.1900


Es giebt Menschen, die eklig und niederträchtig sind aus bloßer Angt, für dumm zu gelten. Ein grantiger Mensch dieser Art war der Mailhof-Bauer von Unterlach, von dem die älteren Leute des Dorfes heute noch erzählen, wie er schon in jungen Jahren ein grundgescheidter Bursch gewesen sei.

Lesen und Schreiben und was der alte Kanter sonst an Wissenschaften für sein schmales Deputat und die vierzig Gulden jährlich an den flachsköpfigen Nachwuchs vom Dorf abzugeben pflegte, hatte zwar bei dem jungen Mailhofer nichts verschlagen. Dafür hatte er aber schon mit fünfzehn Jahren fein raus, mit weiter nichts als einem alten Stutzen von Großvater selig, mit einer Prise Pulver und klein gehackten Bleiknöpfen merkwürdig rasch einen feinen Wildbraten anzuschaffen, wo man dessen in aller Eile bedurfte.

Das hat im Dorfe ein Jeder gewußt; auch der Förster und der Gendarm, aber das waren dumme Kerls — und der Mailhofer-Franzl war ein gescheidter Bursch. Und wenn es mal geschah, daß er auf dem Stadtgericht zu thun hatte und der Herr Rath ihn so von hinten herum nach dem Bestande fragte im Niederlacher Fiskalwald — und wie er über die angeschossene Rike denke, die da im Busch verendet gefunden sei mit einem Dutzend zerklopfter Bleiknöpfe im Bauch, da hat der Franzl alleweil zu beweisen gewußt, daß er ganz wo anders gewesen sei, als der Stutzen vom Großvater selig, daß er seine Hose stets an einem Riemen getragen und sein Wams zeitlebens keine anderen als große, schwarze Hornknöpfe gesehen habe. Die Stadtleut' waren eben dumme Kerls — und der Franzl ein gescheidter Bursch.

Als dann die Mailhoferin — der Alte war längst gestorben — das Zeitliche gesegnet aus lauter Betrübniß über die Gescheidtheit ihres Einzigen, da hatte dieser wieder seinen anschlägigen Kopf bewiesen.

Mit der Maragreth, des Schmied-Bartels Tochter, um die er schon als neunzehnjähriger Jung nach Jungensart geworben, war's nichts. Als er beim alten Barthel nachgefragt, hatte dieser ihn beim Kamisol genommen, zur Schmiede herausgeführt und ihn ziemlich derb aufs Moos gesetzt mit der Verwarnung:

„Komm mir noch amal damit, Haderlump, ausgetragener — meinst, ich hätt' Lust, mein Kind einem Halledei zu geben, der über Nacht doch amal weggeknallt wird in seinem spitzbübischen Gewerb?!”

Der Franzl hatte sich die Fichtennadeln von der Hose geklopft, seine Wuth und die Lieb im Herzen zur Ruh gebracht und sich das Wort gegeben, von nun an blos noch gescheidt zu sein. Und das hat er denn auch gehalten.

Bei der Cenzi, der reichsten Dirn auf zehn Meilen in der Rund, scharmüzirte er von Stund ab solange herum zu nachtschlafener Zeit, bis ihr Vater, der alte Höchinger, alle Ursache gehabt hat, dem Franzl noch gute Worte zu geben, daß er die Cenzi um Herrgottswillen zur Mailhoferin machte. Und da der Franzl nicht nur ein gescheidter, sondern gewissermaßen auch ein gemüthvoller Bursch war, wenn es mit der Gescheidtheit zusmmenzubringen war, that er schließlich dem Höchinger den Gefallen, die achtzigtausend Gulden nebst der Cenzi zu heirathen. Es war eine große Hochzeit und nach vier Monaten war großen Kindelbier.

Seither sind auch die dreißig Jahre über die Berge gegangen. Die Cenzi starb an akkurat derselben Krankheit, wie des Franzl Mutter — blos mit dem einen Unterschied, daß sie am hellen Mittag, nach einem Streit mit dem Mailhofer, ihren Kleinen am Arm, nach dem Mühlenteich gegangen, da ausgerutscht und mit dem Kinde ertrunken ist. Das war sehr traurig — auch für den Franzl, der sich schließlich aber damit tröstete, daß die Cenzi eben nicht gescheidt war — — — — —

Inzwischen aber ist des Mailhofers Haarschopf dünn und grau geworden und die lustigen verschlagenen Augen von einst blicken schiel und argwöhnisch unter den dicht zusammengewachsenen buschigen Brauen. Man sieht ihm an, er hat nichts zu hoffen mehr; und mit der zweiten göttlichen Tugend, dem Glauben, war es auch sehr mißlich bestellt bei ihm.

Wenn mal der Pfarrer im Mailhof vorsprach und beiläufig davon was fallen ließ, wie der liebe Herrgott schon recht ungehalten sei, daß der Franzl nur alle Jubeljahre mal zur Messe komme und dann auch noch am Opferstock vorbeigehe, ohne einen Kreuzer hineinzuthun, was doch eigentlich jedes Christenmenschen Pflicht und Art wäre — dann grieflachte der Alte den Pfarrherrn pfiffig an:

„Lassens gut sein, Hochwürden, der liebe Herrgott hat genug zu thun, daß er die geistlichen Herrn z'sammenhält; und was mein' Kreuzer betrifft — der Küster ist nicht der liebe Herrgott. Ich bin der gescheidte Franzl, Hochwürden.”

Aber die Liebe —?

Was der Mailhofer wohl mit der Liebe soll! Solch ein alter Knickstiefel. Er hat sein Geld und das ist ihm Alles — — — — — — —

Zwei Tage vor dem heurigen Osterfest war des armen Stellmachers Weib gestorben, des Schmied-Bartels blondzöpfiges Margareth — das heißt, sie war inzwischen auch grau geworden und unförmlich dick und hatte ihrem Mann elf Kinder geboren, Jungens und Mädels durcheinander, und wie die Orgelpfeifen.

Letzten Sonntag machte der Stellmacher große Augen und das ganze Dorf lief zum Friedhof, wo über der Margareth einfachem Hügel, über den noch nicht einmal recht Gras gewachsen war, ein mächtiger, blitzblanker Stein prangte, so groß und schwer, wie es in ganz Unterlach keinen zweiten gab. Darauf stand in goldenen Buchstaben der Margareth voller Name, Geburts- und Todestag, — und darunter war zu lesen: Die Liebe währet ewig! —

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